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Der Hamster und das Artensterben

Dieser Tage ist es schick, sich über Artenschutz lustig zu machen. Natürlich nicht generell, denn jeder liebt irgendwie die Tiere. Ein Politiker, der sich als Tierfeind darstellt, käme schlecht an. Wenn Tiere aber stören, zum Beispiel einen schönen Bebauungsplan, dann wird der Versuch, die Kreatur zu schützen, zur Lachnummer. Dieses Schicksal widerfährt dieser Tage dem nordrhein-westfälischen Feldhamster und seiner Beschützerin, der Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne). Es sind vornehmlich Christdemokraten im Wahlkampfeinsatz, die da ihren Spott mit der Schöpfung treiben.

Nun liegt es aber so, dass am Sonntag nicht nur Wahltag ist in NRW sondern auch weltweiter Tag der Biodiversität, also der Artenvielfalt. Klaus Töpfer, Christdemokrat im globalen Einsatz, schlägt aus diesem Anlass als Chef des UN-Umweltprogramms Alarm: Derzeit seien ein Drittel aller Amphibien und ein Fünftel aller Säugetiere vom Aussterben bedroht, die Artenvielfalt auf der Erde schwinde so schnell wie nie zuvor - mit verheerenden Folgen. Noch ist nicht bekannt, ob die CDU Töpfer wegen Wahlkampfhilfe für eine gegnerische Partei ausschließt.

Töpfer bezieht sich auf die Millenium Ökosystemstudie, die umfangreichste zu diesem Themenkomplex überhaupt, die im Auftrag der Vereinten Nationen in vierjähriger Arbeit angefertigt worden ist. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Ausbreitung der Art Mensch, vor allem ihr zerstörerisches Wirken die Hauptursache ist für Verdrängung und Untergang unzähliger anderer Kreaturen - seien es Pflanzen oder Tiere. Genau diesem Konkurrenzkampf fällt die Spezies NRW-Hamster zum Opfer: Er musste schon einem Gewerbegebiet weichen, jetzt bedroht ihn ein Braunkohlekraftwerksprojekt. Vor allem aber führt er jetzt ein Dasein als Symbol des Stillstands.

Der lokale Fall steht tatsächlich symbolisch für das globale Problem: Industrialisierung, Ausbreitung von Ackerflächen, steigender Ressourcenverbrauch zum Zwecke der Wohlstandsmehrung, Landschaftsversiegelung, Wachstum menschlicher Siedlungen, der menschgemachte Klimawandel vertreiben und vernichten überall Arten. Massive, unmittelbare wirtschaftliche Interessen drängen auch solche Mahnungen in den Winkel der Verachtung wie die Klaus Töpfers, der Verlust der Artenvielfalt sei wirtschaftlicher Selbstmord. Töpfer versucht tapfer, die Natur als Dienstleister zu beschreiben und ihr auf diese Weise Respekt zu verschaffen: Pflanzen und Tiere, auch Bakterien oder Pilze tragen zur Reinigung von Wasser und Luft bei, produzieren wertvolle heilende Substanzen - jeder zweite Pharma-Wirkstoff ist pflanzlichen Ursprungs oder einer pflanzlichen Substanz nachempfunden. Allein mit pflanzlichen Heilstoffen macht die Branche jährlich zehn Milliarden Dollar Umsatz. Und die Mehrzahl der auf der Erde existierenden Lebewesen ist noch nicht einmal erforscht: Knapp zwei Millionen Spezies sind bislang wissenschaftlich beschrieben - von 15 Millionen oder hundert Millionen, so weit gehen die Schätzungen der überhaupt existierenden Arten auseinander, so wenig weiß man bisher von der lebenden Nachbarschaft des Menschen. Diese unsichere Datenlage macht natürlich auch Prognosen schwierig über die tatsächliche Zahl aussterbender Arten.

Unstrittig ist, dass sie in großer Zahl verschwinden: Die UN-Studie stellt fest, dass das gegenwärtige Artensterben 1000 Mal schneller verläuft als erdgeschichtlich über längere Zeiträume normal. Man kann also nur ahnen, welche Schätze noch zu heben wären. Die meisten werden nach dem Gang der Dinge unwiederbringlich verschwunden sein, bevor sie entdeckt sind. Genetisch vielfältige Urformen gezüchteter Nutzpflanzen verschwinden und mit ihnen die Chance, sie mit fortschreitender Klimaänderung an neue Verhältnisse anzupassen oder resistent gegen Krankheiten zu machen. Sich auf die Möglichkeiten der Gentechnik zu verlassen, entspräche menschlichem Hochmut, wäre aber fatal. Niemals wird der Mensch mit dem unendlichen Einfallsreichtum der Natur konkurrieren können. Niemals wird die Fantasie ausreichen, um noch unbekannte Werte höher zu schätzen als ein schönes neues NRW-Braunkohlenkraftwerk. Da könnte der Hamster prächtig wie ein Tiger daherkommen, oder menschlich wie ein Orang-Utan oder intelligent wie ein Wal. Die schützt zwar auch die CDU im Prinzip gerne - was aber daran liegt, dass diese Tiere woanders die Industrieansiedlung stören und nicht in NRW.

Berliner Zeitung - Meldung vom 21.5.2005

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